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08.04.2021

Trotz Corona – Reform der Kinder- und Jugendmedizin muss zeitnah kommen

PD Dr. Dirk Olbertz: Neonatologie ist nicht die Cashcow für Verluste im Krankenhausbetrieb


Jede Frühgeburt versetzt die Eltern in eine emotionale Ausnahmesituation. Aufgefangen werden sie dann vom interdisziplinären Team der Neonatologie. So ergeht es gerade auch Johanna Dempwolf. Die Mutter einer dreijährigen Tochter wird derzeit sehr intensiv in der Klinik für Neonatologie betreut. Gut zehn Wochen zu früh, nach 30 Schwangerschaftswochen und vier Tagen, bekam sie ihren Sohn Julius Karl. Da wog der Kleine 1.630 Gramm. In winzigen Schritten geht es jeden Tag aufwärts und die Zuversicht wächst. Als besonders innige Momente erlebt Johanna Dempwolf das Kuscheln und „Känguruhen“ mit ihrem kleinen Schatz. Die Rostockerin wird noch einige Zeit auf der Frühchenstation verbringen müssen, bis ihr Julius Karl ausreichend Gewicht zugelegt hat, stabil ist und nach Hause zu seiner Familie kann. Trotz Corona können die Eltern von Frühgeborenen viel Zeit bei und mit ihren Kindern verbringen. (Foto: Joachim Kloock)

Der Rostocker Neonatologe PD Dr. Dirk Olbertz fordert, dass die offensichtlichen Probleme in der Kinder- und Jugendmedizin endlich angepackt werden. (Foto: Joachim Kloock)

Angesichts der langjährigen Unterfinanzierung steuert die Kinder- und Jugendmedizin auf eine dramatische Situation zu. „Trotz Corona dürfen die elementaren Belange und Herausforderungen des Gesundheitssystems nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden. Die Familien erwarten zu Recht, dass die Probleme der nachweislich unzureichenden Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin endlich angepackt werden“, forderte der Chefarzt der Klinik für Neonatologie am Klinikum Südstadt Rostock, PD Dr. Dirk Olbertz.
Diese Forderung wird vom Direktorium des Südstadtklinikums unterstützt. „Als kommunales Klinikum sind wir uns unserer besonderen Verantwortung  bewusst und auch sehr stolz auf unsere Neonatologie“, hob Verwaltungsdirektor Steffen Vollrath hervor. „Trotz der schwierigen Finanzierungslage in der Kinder- und Jugendmedizin wird die Klinik für Neonatologie als wichtiges Versorgungs-, Kompetenz- und Perinatalzentrum in MV kontinuierlich weiterentwickelt.“

Hintergrund für die Fehlentwicklung war die Einführung einer Vergütung für Krankenhausleistungen 2004 in Deutschland nach Fallpauschalen (DRG/Diagnosis Related Group), bei der Erwachsene und vielfach Kinder gleichgesetzt werden. Die Behandlung von Kindern ist jedoch weitaus spezifischer und aufwändiger, als es die Vergütung nach dem pauschalierten Einheitssystem abbildet. Dies führt zu einer deutlich verschlechterten Versorgung von vor allem chronisch kranken Kindern und einem weiteren Sterben von Kinderkliniken. Außerdem werden Bereiche mit höheren Entgelten wie die Neonatologie oder Kinderkardiologie als Cashcow immer wieder zum Verlustausgleich in der Kindermedizin oder im Krankenhausbetrieb ausgenutzt. „Das Geld fehlt dann aber für die kostenintensive Versorgung von Frühchen oder herzkranken Kindern und Jugendlichen“, so Olbertz.

Hohen Entgelten stehen erhebliche Kosten entgegen
Allerdings sei auch die Neonatologie längst keine Goldgrube mehr, da die Aufwendungen immer stärker steigen. Obwohl die Neonatologie am Klinikum Südstadt Rostock beispielsweise mit rund zehn Prozent erheblich zum Gesamtumsatz aus Krankenhausleistungen beiträgt, schrieb die Klinik im vergangenen Jahr rote Zahlen und mit 400.000 Euro den größten Fehlbetrag aller neun Teilkliniken (2019: 200.000 Euro).
„Auch aufgrund guter Diagnosemöglichkeiten hatten wir im vergangenen Jahr insgesamt weniger und weniger schwere Fälle und Frühgeborene als 2019 bei gleichen, sehr hohen und steigenden Kosten“, so der Frühchenexperte. „Die Anforderungen nach der offiziellen Qualitätssicherungsrichtlinie für Früh- und Reifgeborene (QFR-RL) steigen permanent und sehen jetzt beispielsweise eine 1-zu-1-Betreuung in der Intensivpflege Frühgeborener unter 1.500 Gramm vor.
Neben der hohen Personaldichte und speziellen Qualifikation in der pädiatrischen Intensivpflege sind auch die medizintechnische Ausstattung und Vorleistungen bei der Einführung von Innovationen sowie die teils sehr langen Liegezeiten der Frühchen echte Kostentreiber“, betonte Olbertz. „Insofern gerät auch die Neonatologie im Gesamtverbund der Kinder- und Jugendmedizin zunehmend aus dem Gleichgewicht. Hier herrscht insgesamt Handlungsbedarf, damit wir auch künftig unseren wichtigsten Behandlungszielen, Frühgeburten möglichst zu verhindern und die Frühchen optimal zu versorgen, nachkommen können.“

Hintergrund: Die Rostocker Neonatologie
Mit der Klinik für Neonatologie steht der Universitätsfrauenklinik am Klinikum Südstadt Rostock das größte Perinatalzentrum des Landes mit der höchsten Versorgungsstufe (LEVEL I) zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen zur Verfügung. Voraussetzung dafür waren bisher unter anderem jährlich mindestens 14 Frühgeborene unter 1.250 Gramm. Bereits 2023 wird die vorgeschriebene Mindestfallzahl für Level-I-Zentren zur Qualitätssicherung auf 20 Kinder unter 1.250 Gramm jährlich erhöht, ab 2024 sogar auf 25 Kinder. Weitere Standorte in MV dieser Art gibt es in Schwerin, Greifswald und Neubrandenburg.
Die Frühgeborenenrate beträgt am Klinikum Südstadt zehn Prozent, im Bundesdurchschnitt ca. neun Prozent. In der DDR fiel diese aufgrund des früheren Gebäralters der Frauen mit etwa sechs bis sieben Prozent deutlich geringer aus.
Im Jahr 2020 wurden in der Rostocker Klinik für Neonatologie insgesamt 313 Mädchen und Jungen vor dem errechneten Geburtstermin geboren (2019: 344). Einen längeren Start ins Leben und Aufenthalt in der Klinik haben Frühchen unter 1.250 g. Im Vorjahr betraf das 48 kleine Kämpferherzen (2019: 51) unter 1.250 g und 21 Extremfrühstarter unter 1.000 g (2019: 26). Die Klinik für Neonatologie ist aktuell mit 14 Intensiveinheiten und elf Nachsorgeplätzen sowie zwei Schlaflaborplätzen ausgestattet. Dem Klinikteam gehören 17 Ärzte und 41 Fachpflegekräfte an.
Davon erfüllen 29 die Anforderung an eine notwendige Pflegefachweiterbildung für neonatologische Intensivmedizin.

 

 

Klinikum Südstadt Rostock
Südring 81, 18059 Rostock
Verwaltungsdirektor: Steffen Vollrath
Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jan Roesner
Pflegedirektorin: Sylvia Waterstradt

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